Vegan in Russland

Rohkosttorte
Rohkosttorte von Mr. Konfetkin, Foto: Sophie Kömen

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Ein Gastbeitrag von Sophie Kömen

„Sophie isst nur Obst und Gemüse“ – so hat meine russische Kollegin auf einer Dienstreise von Nowosibirsk nach Wladiwostok letzte Woche einem russischen Geschäftspartner erklärt, dass ich vegan lebe. Daraufhin zeigte sich dieser ziemlich enttäuscht, da ich das „beste Seafood der Welt“ demnach wohl nicht probieren könne. Außerdem erkundigte er sich ganz besorgt nach meinem Gesundheitszustand.

Mein veganes Abenteuer in Nowosibirsk

Seit ungefähr 20 Monaten lebe ich nun in Nowosibirsk, der über 4.000 km östlich von Berlin gelegenen „Hauptstadt“ Sibiriens. Typisch für die mit 1,5 Millionen Einwohnern drittgrößte Stadt Russlands sind kurze, heiße Sommer und lange, kalte Winter mit Temperaturen von bis zu minus 40 °C. Die erste Schneeflocke fällt hier meist im Oktober und der letzte Schnee schmilzt im Mai.

Wie kann man den sibirischen Winter als Veganer überleben?

Ein solch langer, harter Winter sei nur mit ausreichendem Fleischverzehr zu überstehen, so die unter Einheimischen weitverbreitete Meinung. Als ich vergangenen Herbst einer russischen Freundin von meinem Plan erzählte, mich von nun an vegan ernähren zu wollen, erklärte sie mir, dass dies in Sibirien nicht möglich sei. Sollte ich den kommenden Winter doch überleben (und bis jetzt sieht es ziemlich gut aus!), dann läge das ihrer Meinung nach nur daran, dass ich keine sibirischen Gene in mir trage. „Echte“ Sibirier seien nämlich gerade im Winter auf den Verzehr von Fleisch angewiesen.

Volle Regale im neu eröffnete Lebensmittelgeschäft Lime
Das neu eröffnete Lebensmittelgeschäft Lime. Foto: Sophie Kömen

Veganer Alltag in Sibirien

Um mein Überleben machte ich mir bei meiner Ernährungsumstellung jedoch weniger Sorgen als um die Alltagstauglichkeit einer veganen Lebensführung in Nowosibirsk. Doch recht schnell war die Motivation groß genug, es zu versuchen. Neben vielen weiteren Gründen bin ich auch deshalb so dankbar dafür, weil ich dadurch viel Neues an der Stadt entdecken konnte. So gibt es hier zum Beispiel tatsächlich ein paar kleinere Lebensmittelgeschäfte, die sich auf vegane Produkte spezialisiert haben (zum Beispiel das Geschäft „Lime“). Dort kann man unter anderem vegane Müsliriegel, vegane Majo, vegane Schokolade, Falafel, vegane Käse- und Fleischalternativen und verschiedene Sorten Hummus finden. Alles Dinge, die man in konventionellen sibirischen Supermärkten noch nicht bekommt.

Pflanzliche Vielfalt im sibirischen Supermarkt

Gut… fertige, vegane Alternativprodukte sind selten. Trotzdem ist veganes Leben in Nowosibirsk problemlos und auch sehr vielfältig möglich, indem man zu Hause kocht. Supermärkte bieten eine große Auswahl an Hülsenfrüchten, Getreidesorten, Samen, Obst, Gemüse und sogar pflanzliche Milchalternativen an. Obst und Gemüse lassen sich noch deutlich günstiger und frischer in einigen großen Markthallen der Stadt finden. Hier bieten insbesondere Händler aus Usbekistan ganzjährig ein großes und leckeres Angebot an Kartoffeln, Trockenfrüchten, Nüssen, Kräutern, Gewürzen, Obst und Gemüse an. Im Sommer sieht man überall in Nowosibirsk verteilt kleine Stände am Straßenrand, an denen russische „Babuschkas“ ihre Ernten von den Datschen (ihren kleinen Gartenhäusern außerhalb der Stadt) zu geringen Preisen anbieten.

Obst und Gemüse vom „Centralni Markt“ (Hauptmarkt) in Nowosibirsk
Obst und Gemüse vom „Centralni Markt“ (Hauptmarkt) in Nowosibirsk, Foto: Sophie Kömen

Vegan ausgehen

Die größte Herausforderung stellt sicherlich das Essen in einem „gewöhnlichen“ Restaurant dar. In einigen Lokalen – durchaus auch in den „besten der Stadt“ – findet man auf der Speisekarte tatsächlich kein einziges vegetarisches Hauptgericht. Von vegan haben viele noch nie gehört oder wissen den Begriff nicht so recht einzuordnen. Die meisten einheimischen Kellner und Köche zeigen sich aber sehr hilfsbereit, wenn es zum Beispiel darum geht, Kascha (Buchweizengrütze – ein beliebtes Essen in Russland) ohne Kuhmilch und Butter zuzubereiten.

Außerdem eröffnen im modernen Zentrum der Stadt nach und nach sogar einige Cafés und Restaurants, die auf ihren Speisekarten explizit auf die vorhandenen vegetarischen und veganen Optionen hinweisen. Die Preise der Lokalitäten im Stadtkern sind aus deutscher Sicht durchaus angemessen und teilweise sogar deutlich günstiger als bei vergleichbaren Restaurants in Deutschland. Viele Einheimische können sich einen solchen Restaurantbesuch jedoch nur selten oder gar nicht leisten (der durchschnittliche Bruttomonatslohn lag in Russland im Jahr 2016 bei 496,00 €).

Speisekarte mit vegan gekennzeichneten Gerichten im Restaurant Bottva. Foto: Sophie Kömen
Speisekarte mit vegan gekennzeichneten Gerichten im Restaurant Bottva. Foto: Sophie Kömen

Vegane „Poßt-Menüs“ in der Fastenzeit

In der russischen Fastenzeit „Poßt“ verzichten einige Russen aus religiösen Gründen sechs Wochen lang auf tierische Produkte. Von Aschermittwoch bis Ostern gibt es daher in jedem Restaurant ein sogenanntes Poßt-Menü, das komplett vegan ist.

Mein Highlight - vegane Rohkostbäckerei

Pünktlich zu meinem Geburtstag vor ein paar Wochen habe ich dann sogar eine vegane Rohkostbäckerei entdeckt. Die Macher dahinter sind Irina und Dmitry, ein junges Ehepaar aus Nowosibirsk. Aufgrund gesundheitlicher Beschwerden probierten die beiden vor etwas mehr als zwei Jahren die vegane Ernährungsweise aus und es tat ihnen so gut, dass sie kurzerhand dabei blieben. Inspiriert durch ihre berufliche Vergangenheit in der Gastronomie begannen sie zunächst spaßeshalber vegane Pralinen und Schokolade selbst herzustellen. Als Freunde und Familienmitglieder sich begeistert zeigten, machten die beiden aus ihrem Hobby ein Geschäft.

Pralinenschachtel mit veganen Pralinen von Mr. Konfetkin.
Pralinen von Mr. Konfetkin. Foto: Sophie Kömen

„Gesunde“ pflanzliche Süßigkeiten bei Mr. Konfetkin

Immer mehr Menschen begannen sich für die „gesunden“ Süßigkeiten zu interessieren, roh-vegane Muffins und Torten kamen hinzu und heute können Irina und Dmitry von ihrer Geschäftsidee leben. Mr. Konfetkin nennt sich die Rohkostbäckerei. Im letzten Jahr nahmen sie insgesamt 500 Bestellungen entgegen. Sie bereiten ihre Produkte (alle roh-vegan sowie zucker- und weißmehlfrei) zu Hause zu und liefern sie dann an zwei Lebensmittelgeschäfte in Nowosibirsk, der Rest läuft über private Abnehmer. Dmitry beschreibt die typische Kundin von Mr. Konfetkin als laktoseintolerante, junge Mutter, der eine ausgewogene Ernährung für sich und ihre Familie am Herzen liegt. Vegan lebende Menschen seien jedoch die wenigsten der Kunden.

Vegane Community

Außerdem berichten die beiden von gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen zu Themen wie Naturkosmetik, Rohkost und die gesundheitlichen Aspekte einer veganen Ernährungsweise. Auf den Veranstaltungen trifft sich dann eine kleine Gruppe von Nowosibirskern und diskutiert über Dinge, von denen viele ihrer Landsleute noch nie gehört haben. Unter den hier lebenden Veganern und Veganerinnen scheint Gesundheit die Hauptmotivation zu sein. Ethische Aspekte spielen bisher eine eher untergeordnete Rolle.

Guter Geschmack überzeugt

Viele meiner russischen Freunde und Kollegen sind durch meine Ernährungsumstellung das erste Mal mit einer veganen Lebensweise in Kontakt gekommen. Neben Skepsis zeigen viele auch Interesse und stellen Fragen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass veganer Rohkostkuchen sehr gut ankommt, da er sämtliche (eher niedrige) Erwartungen bei Weitem übertrifft.

Fazit: Vegane Bewegung in Sibirien wächst

Es ist schön zu sehen, dass die vegane Bewegung auch in Sibirien zu wachsen beginnt. Immer mehr Menschen kommen mit dem Thema in Berührung. Das vegane Angebot in Supermärkten, Bäckereien und vereinzelt auch in Restaurants nimmt zu. Ich muss mich hier also zum Glück nicht nur von Obst und Gemüse ernähren. Sogar eine kleine, vegane Community gibt es in Nowosibirsk und ich freue mich, ein Teil davon zu sein. Wie es aussieht, können also auch „echte“ Sibirier mit „echten“ sibirischen Genen ohne Fleisch oder sonstige tierische Produkte den sibirischen Winter überstehen, und das sogar ziemlich gut! 🙂

Unsere Gastautorin Sophie Kömen lebt und arbeitet seit rund zwei Jahren in Nowosibirsk in Sibirien. Seit einigen Monaten stellt sie sich der Herausforderung, in Sibirien vegan zu leben.